Ein Lehrer, der mit Heften nach einer Schülerin wirft, weil diese ihn auf einen Fehler aufmerksam macht!
Ein Schüler, der mit Spucke verklebte Kügelchen durch ein Blasröhrchen der Lehrerin auf den Rücken schießt, während sie an der Tafel schreibt!
Ein Vater, der wutentbrannt in die Schule geht, dort in der Pause Schüler aus der Klasse seines Sohnes holt, sie heftig beschimpft (bis einige in Tränen ausbrechen) und die Telefonnummer der Eltern verlangt!
Schüler, die ein Foto eines Mitschülers (der nicht in sozialen Medien unterwegs ist) bearbeiten, auf WhatsApp stellen und sich gemeinsam mit Klassenkollegen darüber lustig machen und dieses weiterverbreiten!
Lehrer, die schlechte Schüler mit Namen anreden, wie „Blitzer“ oder „Flaschen“, wenn sie zur Wiederholung aufgerufen werden.
Situationen, die ich während meiner Schulzeit und der meiner Kinder bereits erlebt habe. Die Liste könnte noch weit fortgesetzt werden.
Gewalt ist seit jeher ein Thema an unseren Schulen. Physische Gewalt, psychische Gewalt und ebenso strukturelle Gewalt.
Und wie bei vielen Themen, die gerne von uns verdrängt und weggeschoben werden, braucht es einen besonders dramatischen Vorfall, damit die Gesellschaft aufmerksam wird und Diskussionen ins Rollen kommen, um zu hinterfragen, was hier jetzt gebraucht wird!
Eine eskalierende Situation zwischen einem Lehrer und Schülern in einer berufsbildenden höheren Schule in der ersten Jahreshälfte war Auslöser einer heftigen Diskussion und nach wie vor ist der Begriff „Time-Out-Klassen“ in aller Munde. Bei ihnen handelt es sich um eine angedachte Lösung für allerlei zwischenmenschliche Probleme, die in Österreichs Klassenzimmern auftreten.
Die Time-Out-Klassen nach dem Schweizer Modell sollen eine Lösungsmöglichkeit für Probleme in dieser Größenordnung darstellen bzw. schon vor einer Eskalation, wie dieser zum Einsatzkommen.
Was wird als Time-Out-Klasse oder Time-Out-Gruppe bezeichnet?
„Time-Out Gruppen sind für SchülerInnen entstanden, die aus unterschiedlichen Gründen nicht in der Lage sind, altersgemäße soziale Erwartungen zu erfüllen oder Normen zu erfassen. In diesen Gruppen gibt es die Möglichkeit einer temporären Auszeit von der Regelklasse bzw. der Großgruppe. In den Time-Out Gruppen betreuen SozialpädagogInnen und unterrichten LehrerInnen als Team die Schülergruppe gemeinsam. Damit eine Reintegration in die Großgruppe bzw. Regelklasse gelingen kann, ist das Ziel die Entwicklung von Handlungskompetenzen im Arbeits- und Sozialverhalten.“1
So zu lesen auf der Homepage der Kinderfreunde Kärnten, wo es schon jahrelang diese Art der Auszeit für einzelne Schüler gibt.
Auf einer Schweizer Homepage ist das Kernziel der Time-Out-Gruppe folgendermaßen definiert:
„Das hauptsächliche Ziel ist die Rückkehr in die reguläre Schule, entweder in die Herkunftsklasse oder in eine andere Klasse. Wenn in Einzelfällen die Rückkehr nicht möglich ist, so besteht das Ziel darin, eine angepasste Anschlusslösung (z.B. Ausschulung und Berufseinstieg, Sonderschulung) zu finden.“2
Vorerst ist zu sagen, es ist kein neues Konzept. In Österreich gibt es schon seit Jahren Extra-Klassen, in denen besonders „schwierige“ Schüler gemeinsam unterrichtet werden. So gab es schon Ende der 90er Jahre in meiner Umgebung eine Klasse, in der viele noch schulpflichtige „notorische Schulschwänzer“ in einer „speziellen“ Klasse untergebracht waren, um dort unterrichtet zu werden. Kein Lehrer wollte auf längere Sicht in dieser Klasse bleiben, da an Unterricht wenig zu denken war. Viele Junglehrer, die auf eine Festanstellung in einer Schule warteten, wurden in diese Klasse „gesteckt“. Und jeder war froh, wenn er diese Klasse wieder hinter sich lassen konnte.
Time-out-Klassen lösen die Probleme nicht!
Zahlreiche Experten haben in den vergangenen Monaten darüber diskutiert und fast alle sind sich darüber einig, dass das „Separieren“ schwieriger Schüler nicht die Lösung für Gewalt- und Mobbingprobleme an Schulen ist.
Vielmehr ist es wünschenswert, den Fokus auf die Präventionsarbeit in Schulen zu legen und von Beginn an, also ab der Volksschule, daran zu arbeiten, dass Situationen, in denen es zu Gewalt und Mobbing in welcher Form auch immer, zwischen Lehrern/Innen und Schülern/Innen, zwischen Jugendlichen und Kindern kommt, erst gar nicht in dem Ausmaß eskalieren.
Time-Out-Zone als Chance?
Aber ich verstehe auch den Gedanken, dass es für beteiligte Lehrer/innen und Schüler/innen in Krisensituationen günstig ist, aus dieser Situation herauszutreten, damit diese unterbrochen wird und somit auch Schlimmeres verhindert werden kann.
Auch als Elternteil ist es in Situationen, die aufregen, die uns an Grenzen bringen, oft hilfreich zu sagen, „Darüber muss ich erst nachdenken.“ bevor wir weiterreden können. Eben um genau das zu verhindern, dass wir unüberlegt und in völliger Rage Worte wählen, die schmerzhaft und verletzend sind und die alles nur noch verschlimmern. Und ich denke auch Jugendliche und Kinder geraten in Situationen, in denen sie einfach Ruhe brauchen, sich beruhigen müssen, um wieder klare Gedanken zu fassen.
So gesehen ist sich gegenseitig eine Auszeit zu geben ein möglicher Weg, um Krisensituationen erfolgreich zu meistern.
Wovon ich aber nichts halte ist, dass diese Time-Out Klassen oder Gruppen außerhalb der Schule liegen, in einer extra Schule oder gar in einem anderen Ort oder anderen Stadtbezirk.
Time-Out-Zone eine Idee?
Ich denke, dass es professionell wäre, in jeder Schule eine „Time-Out-Zone“ zu haben. In diesem Bereich ist kein Lehrer, sondern Fachpersonal tätig, das für Konflikt- und Krisenmanagement ausgebildet ist. Sozialarbeiter, Psychologen, Jugend-Coaches, etc., die nicht unterrichten, aber Teil des Schulteams sind. Gut ausgebildete Menschen, die im Augenblick der Eskalation sowohl dem Schüler, der Schülerin, als auch dem Lehrer, der Lehrerin zur Seite steht können.
Schülerinnen und Schüler haben dort die Möglichkeit, das soeben Erlebte, den Frust, die Scham, die Aggression aufzuarbeiten. Wenn Gespräche noch nicht möglich sind, dann können sie sich beruhigen, indem sie Musik hören, zeichnen, schreiben, sich mit Aufgaben beschäftigen. Klärende Gespräche bleiben nicht aus, jedoch alles zu seiner Zeit.
Ich denke, da gibt es bestimmt unterschiedlichste Ideen, wie solche geschützten Räume für Kinder und Jugendliche, aber auch für Lehrerinnen und Lehrer gestaltet werden können, damit Schule ein friedlicher und sicherer Ort sein kann.
Ich bin der Überzeugung, dass Time-Out-Gruppen innerhalb jeder Schule, dem von Experten und Nicht-Experten prophezeiten Problem vorbeugen, dass schwierige Schüler und Schülerinnen voreilig, aufgrund ihres unangenehmen Verhaltens, aufgegeben und „abgeschoben“ werden.
Außerdem finde ich es enorm wichtig, dass Kinder mit sozialen Schwierigkeiten, die immer wieder anecken, aggressiv und/oder frech sind, Bezugspersonen haben, die da sind, die hinschauen und ihre Not erkennen. Auch oder vielleicht gerade diese Kinder und Jugendlichen brauchen Kontakt und Beziehungen, die die nötige Sicherheit und das „angenommen sein“ vermitteln. Und diese Bezugspersonen können in weiterer Folge Ansprechpartner sein, Werte vermitteln, Lösungsvorschläge für zwischenmenschliche Probleme anbieten und erarbeiten. Und der größte Nutzen für die Schule und in der Folge für die Gesellschaft kann dann daraus entstehen, wenn in jeder Schule in geschützten Räumen für die Aufarbeitung dieser Probleme Platz ist.
Dieser Art der sozialen Arbeit, die hier gebraucht wird, können Lehrerinnen und Lehrer nicht ausführen, denn sie sind dafür nicht ausgebildet! Und es ist wichtig, dass diese Tatsache in der Gestaltung mitberücksichtigt wird.
Und für die „angepassten“ Schüler, die in der ganzen Aufregung, die um eine Gruppe oder einzelne “Problemkinder“ herrscht, gar nicht mehr wahrgenommen werden können. Auch diese Schülerinnen und Schüler können wieder besser gesehen werden und erhalten den nötigen Lernraum. Wir alle wissen: Klassen, in denen die Konflikte zwischen Lehrer/innen und Schüler/innen stets zu einem angespannten Klima führen, sind keine optimale Lernumgebung für Kinder und Jugendliche.
Und die Lehrerinnen und Lehrer, ja auch sie brauchen die Unterstützung von Sozialarbeitern und Psychologen mehr denn je. Und ja, Lehrer müssen vielleicht auch mal die Klassen verlassen, um sich wieder zu regulieren. Unmut, Ungeduld, aggressives Verhalten, ungehaltene Aussagen gegenüber Schülern, fliegende Hefte, knallende Türen … auch das kommt in Schulen immer wieder vor. Und das bekommt meist die ganze Klasse zu spüren und nicht nur diejenigen, die es betrifft. Ohne Zweifel ist dies menschliches Verhalten und niemand von uns ist davor geschützt, sich daneben zu benehmen, sich mehr aufzuregen als nötig und auch mal laut zu werden. Jedoch denke ich, das unterstützendes Fachpersonal, mit dem über Probleme gesprochen werden kann, das um Rat gebeten werden kann, dass auch andere Sichtweisen auf schwierige Situationen geben kann, eine enorme Bereicherung für Lehrer und Lehrerinnen wäre.
Es braucht natürlich dafür eine Öffnung seitens der Lehrpersonen. Mit der Haltung, dass ein Lehrer immer alles weiß, wird es eher kein Erfolg. Diese Öffnung für „neue“ Strukturen und „neues“ Verhalten braucht Zeit, Mut, Überwindung, Selbstreflexion, Perspektivenwechsel, … Jedoch im Interesse aller, die sich beinahe täglich in diesen oft so schwierigen Situationen befinden, ist es begrüßenswert, dass Lehrerinnen und Lehrer von gut ausgebildeten Psychologen und Sozialarbeitern unterstützt werden und auch gestärkt werden im Umgang mit sich selbst und jenen Persönlichkeiten, die sie an ihre Grenzen bringen.
Wir dürfen aber auch die vermehrte Elternarbeit, die der Umgang mit schwierigen Situationen mit sich bringt, nicht vergessen. Auch Sozialarbeiter und Psychologen können hier einen Teil übernehmen, da sie ja mitten im Geschehen stehen. Die Qualität der Zusammenarbeit der Schulpartner steigt und es kann an wirklich konstruktiven Lösungen gearbeitet werden, die das Schulklima auf lange Sicht verbessern.
Lehrerinnen und Lehrer sind dadurch nicht von der Elternarbeit befreit, aber sie erhalten professionelle Unterstützung, die es ihnen auch erleichtert, mit Eltern in Kontakt zu treten, die eine ablehnende Haltung, insbesondere gegenüber ihrem Berufsstand, einnehmen.
Aber manchen Eltern hilft es vielleicht auch, über die Sozialarbeiter und die Psychologen mit den Lehrerinnen und Lehrern in Kontakt zu treten, denn auch Eltern brauchen oftmals eine neue Perspektive auf scheinbar verfahrene Situationen, damit sich die Lage verbessern kann.
Und was lernen unsere Kinder und Jugendlichen, wenn sie mit dieser Form des Schullebens, mit Time-Out-Zonen und Experten in sozialen Fragen, groß werden?
Problem besprechen … sich Unterstützung holen … Lösungsmöglichkeiten erarbeiten … Themen ansprechen … sich selbst als wichtigen Teil einer Gruppe bzw. der Gesellschaft wahrnehmen und erleben … Selbstreflexion … Feedback annehmen und gegen lernen … respektvollen Umgang miteinander … Verantwortung für sich und sein eigenes Verhalten übernehmen … und … und … und.
Es sind genau diese Kompetenzen, die jeder Mensch in seinem Leben braucht! Immer!
Weg von der separierten Time-Out-Klasse im „Nirgendwo“ hin zur in der Schule integrierten Time-Out-Zone mit unterstützenden Experten.
So kann Schule ein sicherer Ort werden und sein!
Alles Liebe
Christa
- http://timeout.kinderfreunde.org/ zugegriffen am 14.05.2019
- http://www.timeoutklasse.ch/aim.php zugegriffen am 14.05.2019