Als ich vor kurzem die Nachricht über Christine Nöstlingers Tod las, wurde es um mein Herz etwas eng, Traurigkeit machte sich breit, über den Verlust dieser tollen Schriftstellerin. Zugleich erfüllte es mein Herz mit Dankbarkeit, dass mich ihre Bücher durch meine Jugend begleitet hatten und mich in meinem Denken und Fühlen bestärkt hatten.
Dem Denken und Fühlen, dass meine Gefühle wirklich und wahr sind, dass jeder so sein sollte, wie er ist und sich dafür nicht zu schämen braucht, auch wenn es nicht der „Norm“ entspricht, dass eigenständiges Denken erwünscht ist und auch Kindern und Jugendlichen eigene Meinungen zustehen.
Ich bewunderte die Helden ihrer Bücher, die standhaft blieben, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatten. Ich bewunderte ihren Ideenreichtum, ihre Beharrlichkeit und Eigenständigkeit, ihre Unabhängigkeit und ihren Mut. Und nur allzu oft träumte ich mich in die Helden und Bücher hinein und erforschte, wie es so wäre, sie zu sein und beim Lesen verschmolz ich mit ihnen und fühlte und lebte sie.
„Die feuerrote Friederike“, die fliegen konnte, oder Kathi, deren Oma ihr „am Montag an dem alles anders ist“ eine Punk-Frisur verpasste, oder Bille, die sich unter ihren Kopfhörern verkroch, damit sie das ewige Nörgeln ihrer Eltern nicht hören musste und die auch keine Lust auf ein „Austauschkind“ hatte und ganz besonders „Gretchen Sackmeier“, die zeigte, dass der Weg der Familie nicht dein eigener sein muss, dass jedes Kind Scheidungen anders wegsteckt, dass anders sein etwas ganz Besonderes ist und ein „Tätowierter“ ein besseres Herz haben kann, als ein konservativer, reicher Schönling.
Eines meiner Kinder, das selbst auch fast alle Nöstlinger Bücher, die wir zu Hause haben, gelesen hat und ich, wir zwei also, schwelgten die vergangenen Tage in den Bucherinnerungen und erzählten uns unsere „Best-of-Stories“ und die Geschichten wurden nochmals lebendig.
Und Jahre nach dem Lesen sind wir wieder erstaunt, wie aktuell die Bücher geblieben sind, auch wenn keine Handys und Computer vorkamen. Die Geschichten der Menschen, Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen und ihre Probleme miteinander haben sich nicht grundlegend geändert. Pubertierende müssen sich immer noch von den Mustern der Eltern befreien, Schüler sind in der Schule immer noch mit Ausgrenzung aus Gruppen und mit Lehrern, die sich nicht für sie und ihre Meinung interessieren, konfrontiert. Eltern sind immer noch damit beschäftigt, sich für ihre Kinder den „Haxen“ (Haxen = Bein) auszureißen, was bedeutet, viel zu arbeiten, damit die Familie finanziell gut über die Runden kommt, wobei das Familienleben dann meist etwas auf der Strecke bleibt. Anders und fremd sein wird immer noch mit sozialer Ausgrenzung bestraft. Und dann sind da auch die Menschen mit Courage, die leider oft so wenige an der Zahl sind und doch so dringend gebraucht werden.
Sozialkritische Themen, Kinderthemen, Elternthemen, Herausforderungen, die die Menschen beschäftigen. Christine Nöstlinger hat es aufgeschrieben. Mit Gefühl, mit Empathie, mit kritischem Auge und vor allem mit Humor, dem charmanten „Wiener Schmäh“. Frei nach dem Motto: In jeder traurigen Situation steckt eine Portion Humor und mit Humor geht alles besser.
Der Tod von Christine Nöstlinger, ein trauriger Anlass, der mich erneut motivierte, wieder einige ihrer Bücher zu lesen.
Und ich lege sie euch auch ganz besonders ans Herz. Lest ihre Bücher, lest sie euren Kindern vor, gebt sie euren Kindern zu lesen. Es ist nicht die heile Welt, sondern die Welt, in der wir leben, mit all ihren guten und schlechten Seiten und mit der gesamten Palette der Gefühle. Courage, Emanzipation, Außenseitertum, unterschiedliche Familienstrukturen, Freundschafts- und Gesellschaftsthemen, alles ist dabei.
Zum Abschluss noch ein paar berühmte Worte von Christine Nöstlinger:
„Was könnte ich Jungen sagen? Vielleicht das: Nix ungschauter glauben, lieber immer bezweifeln, was einem gesagt wird. Und dann natürlich noch meinen Lieblingsspruch, der pickt dort am Küchenkastl: Keiner hat das Recht zu gehorchen.“
Aus einem Interview mit der Kleinen Zeitung, anlässlich Nöstlingers 80. Geburtstag.
„Ich muß mich nicht dauernd danach richten, was Erwachsene wollen! Ich bin ein freies Kind und weiß selbst am besten, was für mich gut ist“, heißt es in „Hugo, das Kind in den besten Jahren“ (1984)
Danke, Christine!
RIP